Kapitel 4 : Sie nimmt, was ihr gehört
Sogar Bradley konnte sich ein Stirnrunzeln nicht verkneifen, als er den Betrag hörte – drei Millionen Dollar.
Denise sagte mit sanfter Stimme: „Ich dachte nur, Sierra könnte finanzielle Probleme haben, also …“
Bradleys Herz wurde weich. Seine kleine Schwester war einfach zu nett.
Drei Millionen? Na und? Wenn es Denise glücklich machen würde, würde er zahlen.
Er ging nach oben, schnappte sich sein Scheckbuch, schrieb einen Scheck aus und warf ihn Sierra vor die Nase.
"Hier."
Sein Blick war voller Verachtung, als würde er einem Bettler Kleingeld zuwerfen.
Sierra senkte den Blick und starrte auf den Scheck auf dem Boden. Dann sah sie zu Bradley auf, ihr Gesichtsausdruck war bar jeder Wärme.
„Herr Xander, tun Sie nicht so, als würden Sie mir einen Gefallen tun. Das steht mir zu. Sie bezahlen Ihre Mitarbeiter doch für ihre Arbeit, oder? Wenn Sie etwas erledigt haben möchten, zahlen Sie dafür. Ich saß drei Jahre lang für Ihre geliebte kleine Schwester im Gefängnis. Ihnen drei Millionen abzunehmen – ist das nicht fair?“
„Du –“ Bradley war wütend.
Er packte Sierra mit festem Griff am Arm.
Ihr langärmeliges Hemd war schief gerissen und rutschte ihr von der Schulter.
Bradley wollte gerade wieder ausholen, doch als sein Blick auf ihre entblößte Schulter fiel, erstarrte er.
Eine große, gezackte Narbe bedeckte ihre blasse Haut.
"Was ist mit dir passiert?"
Sierra folgte seinem Blick, warf einen Blick auf die Narbe und zog dann ruhig ihren Ärmel wieder hoch.
„Du hast es selbst gesehen“, sagte sie kühl. „Ich wurde verletzt.“
„Wie?“ Bradleys Stirnrunzeln vertiefte sich. Wie konnte er davon nichts wissen?
Sierra lachte spöttisch.
„Herr Xander, wie stellen Sie sich das Gefängnis vor?“
Die Art, wie sie ihn mit „Herr Xander“ ansprach, brachte Bradley erneut zur Weißglut.
Doch als er ihrem kalten, spöttischen Blick begegnete, blieb ihm die Wut im Halse stecken.
Mit einem seltsamen Schuldgefühl wandte er den Blick ab und murmelte: „Ich habe dafür gesorgt, dass alles erledigt ist. Mir wurde gesagt, dass es Ihnen dort gut geht.“
Sierra kicherte, aber das Geräusch war bar jeder Wärme.
Ohne ein weiteres Wort schubste sie ihn und Denise aus ihrem Zimmer und schlug ihnen die Tür vor der Nase zu.
Bradley wollte wütend sein, aber der Anblick ihrer Verletzungen ließ ihn zögern.
Er hatte ein Vermögen ausgegeben, um im Gefängnis „alles in Ordnung zu bringen“. Wie konnte sie trotzdem verletzt sein?
Und jetzt, wo er darüber nachdachte, hatte sich auch ihre Stimme verändert.
Es war nicht mehr so klar und hell wie zuvor, sondern rauer und heiserer.
Was genau war dort mit ihr passiert?
Am nächsten Morgen wartete Sierra bereits im Wohnzimmer.
Sie hatte zum ersten Mal seit langer Zeit gut geschlafen.
Zumindest musste sie hier nicht ständig auf der Hut sein.
Evan kam als Erster die Treppe herunter.
Er schenkte ihr kaum einen Blick.
Das war schon immer so gewesen.
Von den drei Xander-Brüdern redete Bradley zumindest gelegentlich mit ihr. Sean bemerkte sie, wenn er gut gelaunt war, und betrachtete ihre Aufmerksamkeit wie eine Belohnung.
Aber Evan?
Evan war immer distanziert, kalt und reserviert gewesen – außer wenn es um Denise ging.
Ironischerweise hatte Sierra ihr Talent für Biochemie nur wegen Evan entdeckt.
Damals hatte sie sich gewünscht, ihm näher zu kommen.
Also studierte sie unermüdlich und hoffte, einen gemeinsamen Nenner zu finden.
Doch als sie die Biochemie entdeckte, erkannte sie, dass sie diese Disziplin wirklich liebte. Sie hatte eine unbestreitbare Begabung dafür.
Schade, dass sie nie die Gelegenheit hatte, es ihm zu sagen.
Sie war ins Gefängnis geworfen worden, bevor sie es konnte.
Und jetzt? Es war ihr egal.
Sie saßen schweigend da und kümmerten sich jeder um seine eigenen Angelegenheiten.
Evan warf ihr ein paar verstohlene Blicke zu.
Sie starrte auf ihr Telefon und ignorierte ihn völlig.
Sie folgte ihm überall hin, hing an seinen Lippen und beobachtete ihn aufmerksam, selbst wenn er gleichgültig war.
Jetzt verhielt sie sich, als ob er nicht existierte.
Es fühlte sich … seltsam an.
Aber das war in Ordnung.
Er hatte es ohnehin nie gemocht, mit Idioten zu reden.
Bald kamen Eleanor und Denise die Treppe herunter.
Eleanor seufzte, als sie ihre beiden Kinder an den gegenüberliegenden Enden der Couch sitzen sah, völlig getrennt voneinander.
Denise hingegen grinste subtil.
„Evan!“, zwitscherte sie und eilte herbei, um sich bei ihm einzuhaken. „Wartest du schon lange?“
„Nicht wirklich. Lass uns essen. Nach dem Frühstück fahre ich dich zur Schule“, sagte Evan und tätschelte ihren Kopf.
„Okay!“, strahlte Denise und drehte sich dann zu Sierra um, als hätte sie sie gerade bemerkt.
„Sierra, bist du bereit? Lass uns essen.“
„Ich habe schon gegessen“, sagte Sierra, ohne aufzusehen.
Sie war früh aufgewacht und hatte sich eine Schüssel Nudeln gemacht – extra, um nicht mit ihnen frühstücken zu müssen.
Sobald sie wieder in der Schule war, musste sie sie nicht mehr jeden Tag sehen.
Als Eleanor sah, dass sie immer noch dieselben Kleider wie gestern trug, meldete sie sich schnell zu Wort.
„Ich habe gestern Abend ein paar Klamotten für dich kaufen lassen – diesmal in deiner Größe. Probier sie an und schau, ob sie passen.“
Einfache Designs. T-Shirts, Hosen.
Wahrscheinlich etwas, das ein Diener zufällig geschnappt hatte.
Aber ausnahmsweise war es tatsächlich ihr Stil.
„Danke, Madam Eleanor.“ Sierra nahm sie entgegen, ging nach oben, um sich umzuziehen, und kam wieder herunter.
Sie war immer groß und schlank gewesen, doch jetzt, in schlichter, sauberer Kleidung, sah sie eleganter und markanter aus.
Ihr langes Haar war verschwunden und durch einen kurzen, ordentlichen Schnitt ersetzt worden.
Eleanor wollte ihr gerade ein Kompliment machen, als sie die lange Narbe sah, die ihren rechten Arm hinunterlief.
Sie keuchte. „Dein Arm …“
Sierra warf einen Blick darauf und kicherte dann leise.
„Es ist nichts. Nur ein kleiner Unfall.“
Wenn sie sich beschwert hätte, hätte Eleanor möglicherweise nicht viel gespürt.
Aber diese beiläufige Entlassung …
Es verunsicherte sie.
Sie fühlte sich seltsam schuldig.
Eleanor war nicht dumm.
Sie wusste, dass es sich nicht nur um einen kleinen Schnitt handelte.
Und wenn ich an die Narben an Sierras Handgelenk zurückdenke …
Egal, wie sehr sie versuchte, sich das Gegenteil einzureden, sie konnte die Wahrheit nicht länger ignorieren.
Sierras drei Jahre im Gefängnis waren nicht einfach.
Eleanor zögerte. Sie wollte etwas sagen.
Doch als sie Sierras kalten, gleichgültigen Blick begegnete, wurde ihr klar, dass nichts von dem, was sie sagte, von Bedeutung sein würde.
Nachdem sie gegangen waren, kam Bradley endlich die Treppe herunter.
Eleanor drehte sich stirnrunzelnd zu ihm um.
„Sie hatte es dort drinnen nicht leicht, oder? Sie sagten, Sie hätten sich um alles gekümmert – also, was ist passiert?“
Bradleys Gesichtsausdruck verfinsterte sich.
„Ich werde jemanden damit beauftragen.“
„Gut. Das solltest du. Sie ist immer noch deine Schwester. Wir wollen nicht, dass die Leute denken, wir hätten sie schlecht behandelt.“
Im Auto saß Sierra still auf dem Rücksitz und spielte die perfekte, gehorsame Puppe.
Evan unterhielt sich mit Denise und warf dabei gelegentlich einen Blick auf Sierra.
Aber sie starrte nur aus dem Fenster und blickte nicht ein einziges Mal in ihre Richtung.
Schließlich sprach er.
„Ich bringe Sie zum Standesamt, um Ihre Unterlagen zu sortieren.“
„Herr Evan, das wird nicht nötig sein. Ich kann meinen eigenen Weg finden.“
Evans Gesicht verfinsterte sich.
„Wie du willst.“
Er hatte ihr einen Ausweg angeboten, aber sie musste sich einfach großspurig aufführen.
Wenn er ihr in den harten Jahren, die sie durchgemacht hatte, nicht etwas Nachsicht gelassen hätte, hätte er sich überhaupt nicht um sie gekümmert.
In der Schule fand Sierra schnell das Sekretariat und erledigte ihre Anmeldeunterlagen.
Dann fragte sie nach etwas noch Wichtigerem.
Sie wollte ihr Hauptfach wechseln.
Sie hatte erwartet, dass es viel Ärger geben würde.
Aber seltsamerweise wurde es fast sofort bearbeitet.
Vielleicht hatte die Familie Xander ein gutes Wort für sie eingelegt.
Oder vielleicht lag es daran, dass sie zuvor bereits Biochemie als Nebenfach studiert hatte.
Wie dem auch sei, sie war wieder dort, wo sie hingehörte.
Zum ersten Mal seit Jahren lächelte Sierra – ein echtes, aufrichtiges Lächeln.
Sie hatte Geld.
Sie hatte ihr Hauptfach zurück.
Endlich ging es bergauf.
Doch ihr Glück währte kaum eine Stunde.
Denn als sie ihr Abteilungsbüro betrat, sah sie zwei vertraute Gesichter, die auf sie warteten.
Evan und Denise.
Evan runzelte die Stirn. „Warst du nicht in der Literaturabteilung? Was machst du hier?“
Also, was war es?
War sie seinetwegen hier?
War das alles ein Plan, um seine Aufmerksamkeit zu erregen?