Kapitel 8 Ich würde lieber da draußen sterben
In der Garage des Bennett-Hauses saß Elliot im Auto und sah sich die Aufzeichnungen der Dashcam an.
Während der fünfzehnminütigen Fahrt vom Gefängnis nach Hause hatte Lauren die Hände auf den Schoß gelegt, den Körper gegen das Autofenster gepresst und diese Haltung die ganze Fahrt über beibehalten. Sie hatte nicht einmal einen Blick auf ihr Kleid geworfen, geschweige denn es berührt.
Er dachte daran, wie sie sie eingerahmt hatten, wie sie ihnen mit einem kalten, unnachgiebigen Gesichtsausdruck gegenübergestanden hatte. Ein schwerer Druck lastete auf Elliots Brust, der ihn in Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen fast ertrinken ließ.
Mit leerem Blick starrte er vor sich hin, während sein Verstand immer wieder den Blick in Laurens gleichgültigem und entschlossenem Blick abspielte.
In seiner Erinnerung war sie immer jemand gewesen, der gerne lächelte.
Jedes Mal, wenn er nach Hause kam, begrüßte sie ihn herzlich, rief seinen Namen, eilte herum, um ihm Kaffee einzuschenken und ihn zu bedienen, und sagte: „Elliot, du musst müde von der Arbeit sein.“
Aber jetzt war es, als wäre sie ein völlig anderer Mensch geworden.
Ein Kopfschmerz pulsierte hinter seinen Schläfen. Elliot schloss die Augen und lehnte sich erschöpft gegen den Ledersitz.
Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als plötzlich eine sanfte Stimme aus der Ferne zu ihm dröhnte.
„Marilyn, du musst mich nicht hinausbegleiten. Du solltest zurückgehen.“
„Frau Bennett, sei bitte vorsichtig. Rufe mich, wenn du in Schwierigkeiten gerätst."
Elliots Augen rissen auf. Sofort sah er Lauren und Marilyn vor dem Tor stehen.
Die beiden wechselten noch ein paar Worte, bevor Lauren sich zum Gehen wandte.
Als Elliot das sah, stieg er schnell aus dem Auto und rief: „Lauren, wo willst du hin?“
Seine Stimme schallte wie ein Donnerschlag durch den stillen Innenhof. Marilyn schauderte vor Schreck. „Herr Elliot? Was machst du denn hier? Warst du nicht...“
Elliot warf ihr einen kalten Blick zu, der sie augenblicklich verstummen ließ. Dann wandte er sich wieder Lauren zu und befahl in eisigem Ton: „Lauren, bleib stehen.“
Aber Lauren tat so, als hätte sie ihn nicht gehört. Sie humpelte weiter, Schritt für Schritt.
Ihre völlige Gleichgültigkeit ließ Elliots Herz sich zusammenziehen. Ein einziger Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Lauren verlässt die Familie Bennett.
Panik erfasste ihn. Mit langen, eiligen Schritten schritt er vorwärts und packte ihren Arm. „Bist du taub? Ich habe dir gesagt, du sollst aufhören, hast du mich nicht gehört?“
Lauren drehte sich um und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich in dem Moment, als sie ihn sah.
Sie hatte ihn wirklich nicht gehört.
In ihrem ersten Jahr im Gefängnis war ihr linkes Ohr durch wiederholte Schläge völlig taub geworden. Nachdem sie im Laufe der Jahre zahllose Ohrfeigen ertragen hatte, hatte sich auch das Gehör auf dem rechten Ohr verschlechtert.
Wenn nicht gerade jemand aus nächster Nähe mit ihr sprach, konnte sie kaum etwas hören.
Lauren wandte ihren Blick ab und versuchte hartnäckig, ihren Arm loszureißen. „Lass mich los.“
Als Elliot sie so trotzig sah, wurde sein schlechtes Gewissen augenblicklich durch eine namenlose Wut ersetzt. „Bist du jetzt fertig? Heute ist Willows Geburtstag. War die Szene, die du auf der Party verursacht hast, nicht genug? Jetzt willst du auch noch von zu Hause weglaufen? Warum bist du so unvernünftig?“
Damit ignorierte er ihren Widerstand und zerrte sie gewaltsam zurück. „Komm mit mir nach Hause. Sofort!“
Sein Griff war wie ein eiserner Schraubstock und wurde von Sekunde zu Sekunde fester. Lauren spürte einen scharfen, stechenden Schmerz in ihrem Arm, als ob ihre Knochen gleich brechen würden.
Ihre Brust schwoll vor Schmerz an, ihre Augen quollen vor Tränen über. Sie würgte heraus: „Ich gehe nicht zurück. Lass mich gehen.“
Ihr Körper schwankte unter seinem kräftigen Zupfen. Jeder Schritt war ein Kampf. Ihr verletztes Bein zitterte, weil es die Belastung nicht aushielt.
Marilyn flehte aufgeregt von der Seite: „Herr Elliot, bitte, sei vorsichtig! Frau Bennett ist immer noch verletzt!“
Elliot zuckte zusammen, ein Flackern des Schmerzes blitzte in seinen Augen auf. Sein Griff lockerte sich leicht, aber er ließ immer noch nicht los.
Er sah Lauren an, die Stirn in Falten gelegt. „Komm mit mir nach Hause.“
Lauren presste ihren Kiefer zusammen und spuckte aus: „Lieber sterbe ich da draußen, als in deinem Haus zu bleiben.“
Ihr Trotz versetzte Elliot in einen regelrechten Wutausbruch. Seine Vernunft wurde von seiner Wut verschluckt.
In seiner Wut trat er Lauren gegen das Bein. „Kommst du nun zurück oder nicht?“
Er hatte nur vorgehabt, ihr eine kleine Strafe zu geben.
Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass Lauren einen schmerzerfüllten Schrei ausstoßen und schwer auf den Boden fallen würde.
Sie umklammerte ihr verletztes Bein mit beiden Händen, ihr Körper rollte sich zu einem engen Ball zusammen. Ihr Gesicht war bleich wie ein Laken, kalter Schweiß rann ihr über die Stirn. Tränen quollen aus ihren Augen wie ein gebrochener Damm. Sie konnte nur ein gequältes Wimmern von sich geben, unfähig, ein einziges Wort zu sagen.
Als Elliot sah, wie sie sich vor Schmerz krümmte, spürte er einen stechenden Schmerz in seiner Brust. Seine Stimme schwankte. „Ich habe dich kaum getreten... Hör auf, dich so bemitleidenswert zu verhalten.“
Aber es lag ein unverkennbares Zittern und Schuldgefühl in seinem Ton.
Marilyn keuchte entsetzt auf und ging in die Hocke. „Frau Bennett! Frau Bennett, geht es dir gut?"
Der knochentiefe Schmerz riss Lauren in die Zeit vor drei Jahren zurück, in ihr zweites Jahr im Gefängnis.
Sie erinnerte sich nicht mehr daran, was sie getan hatte, um die Schläge zu verdienen, aber sie konnte nie vergessen, wie diese Frauen dicke Holzknüppel hoch über ihre Köpfe gehoben und sie gnadenlos auf ihre Beine herabgelassen hatten, ihre Gesichter vor Grausamkeit verzerrt.
Sie hatte geweint und um Gnade gefleht. Aber sie hatten ihren Angriff mit manischer Inbrunst fortgesetzt und sechs Knüppel von der Dicke eines Unterarms zerbrochen, bevor sie schließlich aufhörten, erst nachdem sie ihr Bein zerschmettert hatten.
Der Anführer hatte sie an den Haaren gezogen und höhnisch gesagt: „Denk nicht einmal daran, dich bei den Wachen zu beschweren. Ich will dir mal was sagen. Du hast die falsche Person verärgert. Jemand will, dass wir uns gut um dich kümmern.“
Laurens Augen wurden unscharf. Ihr Körper zitterte heftig, und sie murmelte immer wieder: „Ich habe mich geirrt. Bitte, ich habe mich geirrt... Bitte...“
Ihre Stimme war voller Schrecken und Verzweiflung, wie ein verwundetes Tier, das in hilfloser Agonie wimmert.
Marilyn schluchzte voller Panik. „Frau Bennett, was ist los?“
„Es tut weh... es tut so weh.“
Diese einfachen Worte stachen wie Dolche in Elliots Brust. „Ich habe nicht so viel Kraft angewendet. Warum tut es so weh?“
Marilyn ignorierte ihn und krempelte vorsichtig Laurens Hosenbein hoch.
Der Anblick, der sich ihnen bot, war augenblicklich unerträglich.
Laurens Unterschenkel war auf groteske Weise deformiert. Was einst ein gerader Knochen gewesen war, war nun in einem unnatürlichen Winkel verdreht. Ihre Haut war mit Narben übersät, einige frisch und entzündet, andere längst verheilt, aber sie hinterließen grässliche Spuren.
Die jahrelangen Qualen hatten ihre Muskeln verkümmern lassen, so dass ihr Bein dünn und gebrechlich wirkte, wie ein verdorrter Ast im Vergleich zu einem normalen.
Elliots Blick war auf Laurens verstümmeltes Bein fixiert.
Er blieb wie erstarrt stehen, als hätte ihn ein Zauber getroffen. Sein Verstand war wie leergefegt, sein ganzer Körper wurde von einer schwindelerregenden Welle des Schocks überrollt.
„Wie... Wie konnte das passieren?“ Seine Stimme war kaum noch ein Flüstern. „Es ging ihr gut, bevor sie ins Gefängnis kam. Es ist erst fünf Jahre her... Wie konnte sie nur so enden?“
Als ihm das klar wurde, fehlten ihm die Worte.
Es war ein Gefängnis. Ein Ort für Verbrecher.
Die achtzehnjährige Lauren war in dieses H*llenloch geworfen worden. Sie konnte unmöglich gut gelebt haben.
Sein Herz zerbrach, Stück für Stück. Seine Sicht verschwamm vor Rot.
Er biss die Zähne zusammen, schluckte den Schmerz hinunter und stürmte vorwärts, um Lauren in seine Arme zu schließen. Ohne zu zögern, stürmte er auf die Villa zu.
Seine Schritte waren hektisch, verzweifelt.
Aber in dem Moment, in dem er das Wohnzimmer betrat, erstarrte er plötzlich.
Er wusste nicht einmal, wo Laurens Zimmer war.
Er hatte seiner eigenen Schwester all die Jahre so wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Elliot schloss für einen kurzen Moment die Augen. „Marilyn, wo ist Lauries Zimmer?“
„Herr Elliot, hier entlang.“ Marilyn führte ihn schnell nach vorne.
Elliot folgte ihr dicht auf den Fersen, aber je weiter sie gingen, desto tiefer wurde sein Stirnrunzeln.
Ihm war nie bewusst gewesen, dass es eine so abgelegene Ecke in ihrem Haus gab.
Als Marilyn schließlich die Tür aufstieß, empfing Elliot ein enger, feuchter, schwach beleuchteter Lagerraum, vollgestopft mit Gerümpel und völlig ohne Fenster.
Seine Pupillen weiteten sich vor Schreck, sein Gesicht war voller Unglauben.
„Laurie hat hier gewohnt?“