Kapitel 4 Wenn du dich nicht selbst zerstörst, musst du verrückt werden
„Dann fahre ich lieber Fräulein Jean zur Schule.“ Der Fahrer verzog den Mund, sprach aber mit aufrechter Entschlossenheit.
Die Jean, die jetzt vor ihm stand, war eindeutig anders.
Die alte Jean war still, zurückgezogen und verweigerte jeglichen Kontakt. Der Fahrer hatte nie das Bedürfnis verspürt, ihre Laune zu testen. Solange er sie kannte, hatten sie einander einfach ignoriert.
Doch jetzt – damit hatte er nicht gerechnet – war es Jean, die das Schweigen brach.
Jean zog die Mundwinkel hoch und strahlte plötzlich über das ganze Gesicht. „Wissen Sie was, Mister? Namen sind heutzutage total out…“
Der Fahrer runzelte verwirrt die Stirn. „Und wie spricht man sich dann an?“
Jeans Lächeln wurde noch breiter. „Wir sagen jetzt ‚Prinzessin‘.“
„P-Prinzessin?“ Die Augen des Fahrers wurden groß, doch dann dachte er nach – Jean war schließlich noch ein kleines Mädchen. Es ergab Sinn. Jedes Mädchen träumt davon, eine Prinzessin zu sein.
Also mochte sie es, so genannt zu werden.
Er verstand sofort. Er stieg aus, öffnete Jean mit übertriebener Höflichkeit die hintere Tür. „Eure Hoheit, eure Kutsche wartet.“
Jean nickte zufrieden.
Als sie saß, vergaß der Fahrer nicht, sie zu erinnern: „Prinzessin, bitte gut festhalten. Wir fahren gleich los.“
Jean schnippte lässig mit den Fingern. „Los geht’s.“
…
Der Rolls-Royce hielt in einer ruhigen Gasse in der Nähe der Schule.
Jean mochte keinen großen Auftritt, deshalb hatte der Fahrer sie nie am Haupteingang abgesetzt.
Mit dem Rucksack auf dem Rücken sprang Jean aus dem Auto.
Der Fahrer begleitete sie bis zum Schultor und verabschiedete sich mit einem Nicken. „Fräu… äh… ich meine, Eure Hoheit, bitte…“
Jean lachte über seine Mühe. „Okay, das Prinzessinnen-Spiel ist hier vorbei.“
Sie winkte mit dem Finger und lächelte. „Die Prinzessin muss jetzt mal eine Zeitlang so tun, als wäre sie ein ganz normales Mädchen…“
Der Fahrer sah verwirrt aus. Sollte er sie jetzt doch nicht mehr so nennen?
Jean war wirklich unberechenbar…
Sie blickte zum Schultor hoch, wo in großen, eindrucksvollen Buchstaben stand:
Wer hätte gedacht – nach allem, was passiert war – dass Jean so zur Schule zurückkehren würde?
Das letzte Mal, dass sie Schülerin war, fühlte sich an wie vor achthundert Jahren.
Sie zog den Riemen ihres Rucksacks zurecht und schlenderte ganz entspannt auf das Gelände.
Die Stellarford Akademie war die angesehenste Privatschule in Blairford. Hier lernten die Kinder der Elite und junge Talente Seite an Seite. Die Aufnahmehürden waren enorm, der Ruf noch größer.
Es gab Zweige für jede Bildungsstufe – vom Kindergarten bis zur Universität – alles unter einem Dach. Ein lebenslanges Bildungspaket, sozusagen.
Die älteren Brüder der Gastgeberin hatten hier ihre gesamte Schullaufbahn verbracht, vom ersten Wort bis zum Uniabschluss.
Jean fand ihren Platz im Klassenzimmer, indem sie den Namen auf ihrem Stundenplan abglich.
Sie war nicht früh dran.
Einige Schüler saßen bereits verstreut im Raum.
Kaum betrat sie den Raum, verstummten die Gespräche.
Alle drehten sich zu Jean um, die Blicke träge und spöttisch.
Jean merkte sofort—
Sie war hier nicht willkommen.
Als sie das erste Mal in die Geschichte gezogen wurde, hatte sie eine Flut von Erinnerungen der Gastgeberin überrollt.
Aber es war nicht viel – nur ein bisschen mehr, als wenn man das Buch gelesen hätte.
Die Details fehlten. Wie sie zum Beispiel an das Abzeichen mit dem sechszackigen Stern gekommen war. Oder wie ihr Schulalltag wirklich ausgesehen hatte…
War sie das seltsame Außenseiterkind?
Mit so einer kühlen, verschlossenen Art wie die der Gastgeberin war es kein Wunder, dass sie weder zu Hause noch in der Schule beliebt war.
Kein Wunder, dass sie ignoriert wurde…
„Ugh, da kommt schon wieder die Gruselige…“
„Psst, lass sie das nicht hören. Sonst zieht sie wieder so ein Zitronengesicht, haha…“
Sogar das Flüstern drang bis zu Jean durch.
Na toll, sie hatte richtig geraten.
Sie war also wirklich das schwarze Schaf der Klasse.
Jean presste die Lippen zusammen, ließ ihre Tasche fallen und ließ sich auf ihren Platz plumpsen—
Knack!
Sie erstarrte.
Oh nein. Sie hatte gerade etwas zerbrochen!
Sofort brach im ganzen Klassenzimmer schallendes Gelächter aus.
Einige Schüler bogen sich vor Lachen, als hätten sie noch nie etwas Lustigeres gesehen.
Das Geräusch und der Spott trafen sie mit voller Wucht, sie biss die Zähne zusammen.
Verdammt!
Sie hatte nicht aufgepasst. Sie war in eine Falle getappt.
Jetzt stand sie vor einem Dilemma—
Sollte sie aufstehen?
Wenn nicht, würde sie nie erfahren, was sie zerdrückt hatte.
Aber wenn doch… die rote Flüssigkeit aus dem zerbrochenen Dings war schon auf ihre Hose gelaufen.
Die ganze Klasse würde sie zerreißen.
Genau das war der Plan gewesen.
Ein dummer, kindischer Streich – und sie war voll reingetappt, weil sie nicht aufgepasst hatte.
Reg dich nicht auf.
Jean atmete tief durch, versuchte sich zu beruhigen, bevor sie die Nerven verlor. Dann—
Sie stand auf, als wäre nichts passiert.
Das Gelächter um sie herum wurde noch lauter, hallte durchs Klassenzimmer.
Sie drehte sich zu ihrem Stuhl um—
Dort lag ein kleiner, zerbrechlicher Ball. Unter ihrem Gewicht war er geplatzt und hatte überall rote Farbe verteilt.
Sie musste nicht nachsehen, um zu wissen, dass ihre Hose jetzt einen knallroten, peinlichen Fleck hatte.
„Hahaha!“
„Schaut mal! Ihr Hintern ist total eingesaut!“
Das schrille Gelächter dröhnte ihr in den Ohren, immer und immer wieder.
Jetzt verstand sie, warum Leute im Internet so gerne freche Kinder und launische Teenager zurechtweisen wollten…
Und im Moment fühlte sie genauso.
Genau genommen war ihre Seele neunundzwanzig Jahre alt – sie sollte sich eigentlich nicht mit ein paar Schülern anlegen.
Aber Jean hatte eine Regel:
Wenn du dich entscheiden musst, ob du dich selbst quälst oder durchdrehst – dann dreh durch und reiß jemanden mit.
Selbstzerstörung? Keine Option.
Wenn jemand ihr das Leben schwer macht, dreht sie richtig auf und zeigt, wie „reizend“ ihr Geisteszustand wirklich ist.
Sie war vielleicht ausgebrannt, aber das hieß nicht, dass sie alles einfach so hinnahm.
Jean griff den zerbrochenen Farbbällchen vom Stuhl, drehte sich zur Klasse um und schmetterte ihn auf den Boden.
Die rote Farbe spritzte überall hin.
Im Raum wurde es still.
Niemand hatte sie je so erlebt. Alle starrten sie mit großen, erstaunten Augen an.
Jeder kannte Jean als die seltsame Einzelgängerin, die nie sprach.
Sie hatten sie wie ein Gespenst behandelt, sie laut verspottet, und sie hatte es immer ignoriert.
Absolut unerträglich.
Heute wollten sie ein bisschen Abwechslung.
Aber sie hatten nicht erwartet—
Jean ließ sich diesmal nicht alles gefallen…
„Wer war’s?“ Ihr Blick war kalt und unnachgiebig.
Ihre scharfe Stimme war einschüchternder als jeder wütende Lehrer.
Niemand antwortete.
Natürlich nicht. Keiner wollte es zugeben.
Jean ließ ein leises, humorloses Lachen hören. „Ach ja? Keiner will’s gewesen sein?“
„Wie wär’s damit – ihr tut einfach so, als wärt ihr Touristen, die die Stellarford Akademie besuchen? Denn ich kann echt nicht glauben, dass die zukünftigen Stars dieser Schule so armselig sind…“
Die Schüler hielten den Atem an, sichtlich verunsichert von ihrem plötzlichen Tonfall.