Kapitel 6 Ein Öffentlicher Anspruch
Am anderen Ende des Feldes erhob sich ein hoher Maschendrahtzaun, der einen ganzen Basketballplatz umschloss.
Das Geräusch von aufprallenden Basketbällen hallte unaufhörlich wider.
„Ahhh! Er sieht so gut aus!“
„Das ist das erste Mal, dass ich ihn in echt sehe, oh mein Gott!“
„Warum spielt er hier?“
„Ich habe gehört, der Basketballplatz der Highschool wird renoviert, deshalb ist er hierher gekommen…“
„Schnell, macht Fotos. Er sieht einfach umwerfend aus…“
Eine Gruppe Mädchen drängte sich aufgeregt und fast zitternd am Zaun.
Jean blickte neugierig hinüber—
Auf dem Hauptfeld bewegten sich die Jungs wie lebendige Sonnenstrahlen—schnell, scharf, strahlend.
Derjenige, der am meisten herausstach, war der Junge, der gerade den Ball über das Feld dribbelte. Er war groß, mühelos attraktiv, mit heller Haut und markanten Zügen—wie eine wilde Blume, die hell und mutig mitten im Wald blüht.
Am auffälligsten war sein weißes Haar—so surreal, als wäre er direkt einem Manga entsprungen.
Jean erstarrte. Und genau in diesem Moment der Ablenkung flog der Basketball plötzlich über den Zaun und traf sie direkt am Kopf—
Wumm!
Jean dachte, sie hätte heute Morgen wohl besser ihr Horoskop lesen sollen. Heute kam wirklich alles zusammen.
Schon wieder hatte sie ein Basketball erwischt.
Zum Glück tat es nicht allzu weh.
Gut, dass sie einen harten Kopf hatte.
„Winston, bist du verrückt? Der Wurf war viel zu hoch!“
„Schau mal nach dem kleinen Mädchen, Mann. Wahrscheinlich hast du sie verletzt.“
Der weißhaarige Junge verengte träge die Augen. „Zu viel Aufwand. Geh du.“
Winston?
Jeans Augen weiteten sich.
Sie hatte ihn zuerst nicht erkannt. Dieser weißhaarige Typ war niemand anderes als der jüngste ältere Bruder der Gastgeberin—momentan ein Superstar in der Highschool-Abteilung der Stellarford Akademie. Winston!
Der Nachteil daran, zu viele ältere Brüder zu haben, war, dass Jean an jeder Ecke einem begegnen konnte.
Winston hatte sich bereits abgewandt und steuerte auf den Spielfeldrand zu, entfernte sich immer weiter. Jean machte sofort einen Schritt nach vorn und rief,
„Winston!“
Der Ruf hallte laut—klar und scharf.
Alle Mädchen ringsum drehten sich zu Jean um, ihre Blicke wurden augenblicklich feindselig.
Sie kannten diesen Typ Mädchen. Dreist, schamlos, in der Hoffnung, dass Winston sie bemerken würde, nur weil sie seinen Namen rief.
Als ob.
Winston beachtete solche Mädchen nie.
Egal, wie sehr sie sich bemühten, es funktionierte nie.
Und tatsächlich, Winston reagierte überhaupt nicht. Es war, als hätte er sie gar nicht gehört.
Die Mädchen hatten nichts anderes erwartet. Ihre Augen funkelten vor Spott und Verachtung.
Doch Jean gab nicht auf. Sie entdeckte schnell den Eingang zum Spielfeld, schlüpfte hinein und stellte sich ihm in den Weg.
„Winston.“
Sie legte den Kopf schief und rief ihn erneut, klar wie eine Glocke.
Alle erstarrten.
Sogar Winston, der bisher völlig ausdruckslos gewesen war, zuckte leicht zusammen.
„Was soll das denn? Ist die verrückt?!“
Die Mädchen am Zaun brachen in Aufregung aus.
„Wie schamlos, ihn einfach beim Namen zu nennen. Widerlich!“
„Sie will doch nur seine Aufmerksamkeit. Was für eine Taktiererin…“
„Das ist ja unerträglich. Ihn einfach so beim Namen zu rufen? Für wen hält sie sich eigentlich?“
„Sie sollte mal in den Spiegel schauen… sich ihm so an den Hals zu werfen!“
„Winston, sie hat deinen Namen laut gesagt. Sagst du nichts dazu?“ Rylan grinste. Er hatte nicht erwartet, dass dieses Mädchen so unberechenbar war. Er konnte nicht widerstehen, den weißhaarigen Jungen neben sich zu necken.
Wie Winston stammte auch Rylan aus einer angesehenen Familie in Blairford. Die beiden waren seit ihrer Kindheit eng befreundet. Gleiche Klasse, spielten zusammen Basketball, verbrachten viel Zeit miteinander.
Er war der Einzige hier, der es wagte, mit Winston so zu scherzen.
Jean sah, dass Winston immer noch nicht reagierte, also rief sie erneut. „Winston?“
Im Ernst? Ist der Typ taub oder was?
Ihre klare Stimme drang direkt in Winstons Ohren. Er blinzelte leicht.
Seine Augen wirkten wie von Eis überzogenes Glas—kalt, hart, undurchschaubar. Seine Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. Sein Gesichtsausdruck war beeindruckend, aber distanziert.
„Redest du mit mir?“
Jean nickte wie ein kleines pickendes Küken. Sie sah unschuldig und höflich aus. „Ja. Das ist dein Name. Darf ich dich nicht so nennen?“
Winstons Stirn legte sich in Falten. Sein Blick wurde schärfer. „Ach ja?“
Seine Lippen zogen sich zu einem kühlen Bogen, und er sah Jean an, als wäre sie ein Käfer auf dem Gehweg.
„Warum sagst du nicht gleich, ich wäre dein Vater?“
Dann drehte er sich ohne einen weiteren Blick um und ging cool davon.
„Hab ich’s doch gesagt! Sie kann sich anstrengen, wie sie will, aber Winston fällt auf so was nicht rein!“
Die Mädchen jubelten, begeistert von Winstons klarer Abfuhr.
„Er hasst anhängliche Mädchen, die sich so aufdrängen. Jammernd und nervig… das hat sie sich selbst eingebrockt.“
„Sie dachte wirklich, ihn so zu nennen, würde sie besonders machen? Lächerlich.“
„Mädel, weniger Verzweiflung, bitte.“
Jean biss sich auf die Lippe, völlig perplex.
Was zum…! Der Typ ist echt unglaublich—hat mich vor allen komplett abblitzen lassen! Er tat wirklich so, als hätte er keine Ahnung, wer ich bin. Was ist hier los? Das ist Winston! Hast du deine kleine Schwester Jean etwa wirklich vergessen?!
…
Jeans innerlicher Aufschrei drang direkt in Winstons Bewusstsein. Er blieb stehen.
Jean?
Er hatte tatsächlich eine Schwester namens Jean. Aber er war gesichtsblind und hatte ein miserables Gedächtnis. Als er noch zu Hause war, hatte seine Schwester ihm selten in die Augen gesehen, immer den Kopf gesenkt. Seine Erinnerung an sie war bestenfalls vage.
Jetzt, nach über einem Jahr auf dem Campus, hatte er völlig vergessen, wie sie aussah.
Winston presste die Lippen zusammen, drehte sich dann um und kam zurück.
Rylan dachte bei sich. Da stimmt was nicht.
Die Mädchen am Zaun dachten. Da ist definitiv was im Busch.
„Du bist…“ Winston verengte die Augen, musterte Jean ruhig und prüfend. „Jean?“
Jean hob sofort die Hand und winkte fröhlich wie eine Glückskatze. „Genau, Winston, das bin ich.“
Endlich! Jetzt erinnert er sich wirklich an mich!
Winston war ein wenig überrascht. Sogar ein bisschen angetan.
Bevor er etwas sagen konnte, packte Jean plötzlich seine Hand. Ihre Lippen schürzten sich, ihr Gesicht war voller Kummer.
„Ich bin gekommen, um mich zu beschweren. Du musst mir helfen—jemand hat mich geärgert!“
Alle rund um das Spielfeld schauten überrascht.
Sogar Rylan hörte auf zu scherzen und sah die beiden ernster an.
Unterdessen brach bei den zuschauenden Mädchen erneut Tumult aus.
„Sie… sie hat ihn tatsächlich berührt! Kennt sie denn keine Scham?!“
„Ich habe seine Hand noch nie berührt und sie—wie kann sie nur?!“
„Widerlich! Was stimmt mit der nicht?! Hat sie Wahnvorstellungen? Sie glaubt wirklich, Winston sei ihr Bruder? Schon mal was von Privatsphäre gehört?!“
„Armer Winston, jetzt muss er sich mit so einer rumschlagen!“