Kapitel 6 Offiziell zusammenleben
„Es ist nichts“, stammelte Emilia. Sie versteckte die Schachtel hinter ihrem Rücken und fügte hinzu: „Der Schal hat die gleiche Farbe wie deiner. Ähm... Ich habe schreckliche Bauchschmerzen. Ich muss dringend auf die Toilette!“
Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern floh zur nächsten Toilette.
Sobald sie die Privatsphäre der Kabine erreicht hatte, setzte sie sich vorsichtig auf den Toilettendeckel und öffnete erneut den Deckel der Schachtel.
Im Gegensatz zu den Seidenschals von Sarah und den anderen befand sich in ihrer Schachtel stattdessen eine Reihe von Schlüsseln.
Sie starrte immer noch fassungslos darauf, als sie eine Benachrichtigung am Handy erhielt.
Finn hatte ihr seine Adresse geschickt, aus der hervorging, dass er in der teuersten Villengegend von Frankfurt lebte.
Seine Adresse und einige Schlüsseln. Er meinte es ernst, dass ich bei ihm einziehe? Ich nehme an, es ist nicht falsch von ihm, das zu denken; schließlich sind wir rechtmäßig miteinander verheiratet. Es ist normal, dass wir zusammenleben...
Kurz darauf verließ sie das Badezimmer und kehrte mit Sarah und den anderen zur Zeitschriftenfirma zurück.
Während dieses Interviews hatten sie es geschafft, mehrere gute Aufnahmen von Finn zu machen. Allerdings wagten sie es nicht, sein Foto ohne seine Zustimmung zu veröffentlichen.
Deshalb kontaktierte der Chefredakteur die Finnor Group, um Herrn Norten nach Erlaubnis zu fragen.
Der Chefredakteur hatte auf gut Glück angerufen, ohne wirklich mit einer positiven Antwort zu rechnen. Schließlich hatte sich der Präsident des Finnor-Konzerns immer sehr bedeckt gehalten, was seine Person anging. Dass er einem Interview zustimmte, war schon eine große Überraschung von ihm.
Zum großen Erstaunen aller hatte Finn aber tatsächlich zugesagt! Sofort herrschte in der gesamten Firma rege Betriebsamkeit.
„Donnerwetter! Der Präsident der Finnor-Group erlaubt uns, sein Foto zu veröffentlichen? Sieht aus, als würden wir berühmt werden!“
„Schnell, schnell! Zeigt uns sein Foto! Sieht er wirklich so gut aus, wie Sarah behauptet?“
Bis jetzt hatten Emilia und die anderen es nicht gewagt, Finns Fotos ohne seine Zustimmung zu zeigen. Nun, da er ihnen erlaubt hatte, seine Fotos zu verwenden, holten sie sie zur öffentlichen Betrachtung heraus.
Alle Frauen in der Firma quietschten und kreischten, als sie seine Fotos sahen.
„Verdammt! Er ist so wunderschön. Sarah, deine Beschreibung wurde ihm überhaupt nicht gerecht!“
„Ja! Keiner der Stars kann mit ihm mithalten! Keiner von ihnen!“
„Hey, warum ist der Stuhl von Herrn Norten so komisch? Es sieht irgendwie... wie ein Rollstuhl aus?“
Jemand hatte endlich den Rollstuhl bemerkt, in dem Finn saß, und es wurde still um sie herum.
Sarah meldete sich laut zu Wort: „Ja, Herr Norten ist an den Rollstuhl gebunden. Aber na und? Er ist gutaussehend und stinkreich. Für mich ist er trotzdem ein Märchenprinz!“
Alle anderen Frauen stimmten ihr eifrig zu, was ihre männlichen Kollegen vor Neid erblassen ließ. Die Männer spotteten und machten abfällige Bemerkungen. „Wen juckt es, ob er reich und gutaussehend ist? Wisst ihr, dass fast achtzig Prozent der Männer in Rollstühlen nicht mehr performen können?“
„Stimmt genau! Hast du nicht gesagt, dass er schon verheiratet ist? Seine arme Frau wird wohl für den Rest ihres Lebens enthaltsam leben müssen.“
Hust, hust, hust!
Emilia, die ruhig dem Gespräch gelauscht und einen Schluck Wasser getrunken hatte, hätte beinahe alles ausgespuckt. Stattdessen verschluckte sie sich und begann heftig zu husten.
Einer ihrer Kollegen kam herüber und klopfte ihr auf den Rücken. „Emilia, was ist mit dir los? Scheinbar ist Herr Nortens Charme auch für unsere immer so ruhige Emilia zu viel, nicht wahr?“
„Ja, genau!“ meldete sich Sarah zu Wort, „Ihr hättet sie bei dem Interview vorhin sehen sollen. Sie war so nervös!“
Mit leicht verzogenem Gesicht protestierte Emilia: „Hey, erzähle nicht solche Lügen! Ich war nicht diejenige, die wie ein Fangirl von ihm geschwärmt hat.“
„Wie könnte ich nicht?“ Sarah hielt sich die Wangen, während ihre Augen vor Bewunderung leuchteten. „Er ist einfach zu perfekt! Wären da nicht seine verkrüppelten Beine, wäre er der sprichwörtliche Märchenprinz, wie in all diesen Liebesromanen immer!“
Es war klar, dass die Frauen die verächtlichen Bemerkungen ihrer männlichen Kollegen völlig ignorierten.
In den nächsten Tagen arbeiteten die Angestellten der Zeitschrift eifrig an dem Artikel über Finn. Alle schienen gut gelaunt zu sein und stürzten sich mit neuem Elan in ihre Arbeit.
Endlich war das Wochenende da. Emilia war völlig ausgebrannt von der hektischen Woche. Trotzdem konnte sie sich zu ihrem großen Pech nicht ausruhen. Zuerst nahm sie sich die Zeit, ihre Mutter im Krankenhaus zu besuchen. Danach kehrte sie nach Hause zurück, um ihre Sachen zu packen und sich auf den Umzug in Finns Haus vorzubereiten.
Sie machte sich Sorgen, dass sie das Ganze noch länger hinauszögern würde. Sie wollte nicht, dass er denke, sie sei in ihrer „Beziehung“ nicht aufrichtig.
Wie erwartet war Finns Villa riesig und die Architektur hatte einen leichten Hauch von Mid-Century-Design. Er hatte nicht viele Bedienstete in seiner Villa, nur ein altes Ehepaar namens Johannes und Maria.
Johannes half Emilia, ihr Gepäck ins Hauptschlafzimmer in den zweiten Stock zu tragen. Die Einrichtung war schlicht, aber modern gehalten. Als sie den Kleiderschrank öffnete, stellte sie fest, dass die Hälfte davon mit Männerkleidung gefüllt war, während die andere Hälfte leer war.
Sie verstand. Sie würde im selben Raum wie Finn schlafen.
Da sie daran nichts auszusetzen hatte, räumte sie ihre eigenen Sachen ordentlich in den Schrank.
Als sie mit dem Auspacken fertig war, war es bereits Abend. Finn war allerdings immer noch nicht zu Hause.
Ihr Abendessen bestand aus Spaghetti, die Maria gekocht hatte. Als sie fertig war, beschloss sie, eine Dusche zu nehmen.
Als sie fertig war, griff sie nach einem Handtuch, um sich abzutrocknen, nur um festzustellen, dass sie vergessen hatte, eins mitzunehmen.
Sie verfluchte sich selbst für ihre Vergässlichkeit und rang mehrere lange Momente mit sich selbst. Schließlich öffnete sie vorsichtig die Badezimmertür einen Spalt breit und spähte hinaus.
Als sie sah, dass niemand im Raum war, trat Emilia heraus und sprintete zum Schrank. Wasser tropfte von ihrem nassen Körper auf den Boden.
Gerade als sie im Schrank nach einem Handtuch suchte, hörte sie ein lautes Klicken hinter sich.
Sie zuckte vor Schreck zusammen und drehte sich um, gerade als Finn in seinem Rollstuhl in den Raum kam.
Der Mann war sichtlich erstaunt, sie zu sehen, und offensichtlich überrascht, dass seine neue Frau so kühn sein würde, ihn auf solch … provokante Weise zu begrüßen.
Emilia erstarrte an Ort und Stelle, ihr Hirn war wie leer gefegt. Als sie wieder klar denken konnte, stieß sie einen schrillen Schrei aus und stürmte ins Badezimmer.
Unglücklicherweise war der Boden rutschig von dem Wasser, das vorher von ihr runter getropft war. Ihre Füße rutschten unter ihr weg und sie fiel nach vorne.
„Pass auf!“
Finns Gesicht verzerrte sich, als er seinen Rollstuhl schnell heranrollte, um sie aufzufangen. Glücklicherweise schaffte er es rechtzeitig, sodass sie direkt in seinen Schoß fiel.
Als seine Finger ihren weichen und nassen Körper berührten, erstarrte er vor Überraschung.
Er senkte den Kopf und betrachtete die beiden roten Flecken auf ihren Wangen.
Obwohl Emilia keine typische Schönheit mit Modelmaßen war, waren ihre Gesichtszüge zart und fein. Sie war die Art von Frau, die immer schöner erschien, je länger man sie betrachtete.
Dieser Moment war einer davon. Ihr Gesicht war bar jeglichen Make-ups, während ihr feuchtes Haar hinter ihren Ohren steckte. Wassertropfen rannen über ihre seidigen Strähnen, entlang ihrer markanten Schlüsselbeine und den Kurven ihrer zierlichen Figur.
Finn schluckte, sein Hals fühlte sich plötzlich so trocken an wie Pergament, während seine Augen sich beträchtlich verdunkelten.
Als Emilia sich endlich aufrichtete, hob sie den Kopf und traf den hitzigen Blick des Mannes.
Sie war kein unschuldiges Kind. Sie wusste, was der Blick in seinen Augen bedeutete.
Oh nein!
„Es tut mir leid...“ Sie versuchte sofort, wieder auf die Beine zu kommen. Während sie sich bemühte, aufzustehen, landeten ihre Hände kurz auf Finns Beinen, als sie einen Moment innehielt.