Kapitel 7 Kann er oder kann er nicht
Allerdings blieb keine Zeit, um darüber nachzudenken, was sie gefühlt hatte. Sie traute sich nicht, Finn noch einmal in die Augen zu sehen, und stürmte ins Badezimmer.
Sie schlug die Tür zu und lehnte sich mit ihrem rasend schlagenden Herzen dagegen.
Das war zu knapp! Nur noch ein kleines bisschen und...
Der Gedanke daran, was hätte passieren können, erschreckte sie. Gleichzeitig war sie ein wenig verwirrt.
Wir sind offiziell verheiratet, also ist es normal und verständlich, dass wir 'das' tun. Ist es gemein von mir, wegzulaufen?
Noch während sie darüber nachdachte, kam ihr der hitzige Ausdruck in seinen Augen wieder in den Sinn. Unwillkürlich lief ihr ein Schauer über den Rücken.
Dies war erst das dritte Mal, dass sie und Finn sich gesehen hatten. Sie konnte keine sexuellen Handlungen zulassen, nachdem sie sich erst seit so kurzer Zeit kannten.
Aber wenn man seine Reaktion von gerade eben bedachte, bedeutete das, dass ihre männlichen Kollegen sich geirrt hatten? Finn hatte reagiert, wie jeder andere normale Mann auch. Bedeutete das also, dass er trotz seiner Verkrüppelung gar nicht auf „diese“ Weise beeinträchtigt war?
Als sie bemerkte, wohin ihre Gedanken führten, schalt sie sich innerlich.
Emilia Wieland, was denkst du da! Warum interessiert es dich, ob seine Funktionen normal sind? Der einzige Grund, warum du ihn geheiratet hast, war, um in Frankfurt gemeldet zu sein! Hör auf, über all diesen Unsinn nachzudenken!
Allerdings war da etwas, das sehr seltsam war.
Als sie zuvor in Finns Schoß gefallen war, hatte sie versehentlich seine Beine berührt.
Sie hatte immer gedacht, dass Rollstuhlfahrer dünne, schwache Beine hätten, weil sie ihre Muskeln nicht benutzen können. Seltsamerweise waren seine Beine eigentlich ziemlich fest. Sie waren überhaupt nicht so, wie die Beine eines gelähmten Mannes sein sollten...
Klopf, klopf.
Das plötzliche Klopfen an der Badezimmertür durchbrach ihre wirren Gedanken.
Emilia zuckte fast zusammen und hob den Kopf, um die Tür anzustarren. „Was?“
„Mach die Tür auf“, erklang Finns tiefe Stimme von der anderen Seite.
Ihr Herz stolperte und schien ihr aus der Brust springen zu wollen.
Die Tür aufmachen? Warum?
Als sie sich an den lüsternen Blick in seinen Augen von vorhin erinnerte, griffen ihre Finger fester nach der Arbeitsplatte, während sie ihrer Fantasie freien Lauf ließ.
Da Finn keine Antwort von ihr bekam, meldete er sich wieder zu Wort: „Du hast etwas fallen lassen.“
Bei diesen Worten kamen ihre Gedanken ins Stocken, und sie zögerte kurz. Einige Augenblicke später näherte sie sich der Tür und öffnete sie einen winzigen Spalt.
Eine zierliche Hand erschien mit einem flauschigen weißen Handtuch.
Emilia war überrascht.
„Danach hast du gesucht, oder? Deshalb bist du aus dem Bad gekommen.“ In seinem Tonfall schwang eine kaum wahrnehmbare Spur von Belustigung, was sie heftig erröten ließ.
„Dankeschön“, murmelte sie und nahm hastig das Handtuch entgegen. Dann schloss sie die Tür schnell wieder.
Als sie fertig war mit abtrocknen und anziehen, verließ sie das Badezimmer und sah Finn bereits in dunkelblauen Seidenpyjamas gekleidet. Er saß auf dem Bett, mit seinem Laptop auf den Beinen. Seine Finger flogen schnell über die Tastatur, und er schien vertieft in das, was er tat.
Diese Szene weckte Emilias Neugier erneut.
Sie hatte gedacht, dass er aufgrund seiner Bewegungsschwierigkeiten beim viel mehr Bedienstete haben würde, die ihn versorgten. Doch in dem ganzen Haus gab es nur Maria und Johannes, die sich um seine Bedürfnisse kümmerten. Es ist seltsam, dass er keinen persönlichen Betreuer hat.
Wie ist er alleine ins Bett gekommen? Muss er nicht duschen?
Sie konnte sich nicht länger zurückhalten und fragte: „Hey... Gehst du noch duschen?“
„Ich habe schon geduscht“, war seine einfache Antwort.
Und ich war besorgt, dass er Schwierigkeiten haben würde, sich zu waschen. Aber er hat sich schon geduscht? Moment mal, hat er woanders gebadet? Bedeutet das, dass er eine andere Frau hat?
Der lächerliche Gedanke ließ sie innerlich schnauben. Ehrlich gesagt hätte es ihr nichts ausgemacht, wenn er wirklich jemand anderen hätte.
Sie ging zum Schreibtisch um die Sachen einzupacken, die sie für die Arbeit morgen brauchen würde. Ein Glitzern fiel ihr ins Auge und sie sah, dass es der Ring war, den sie abgenommen hatte, bevor sie ins Bad gegangen war.
Sie hielt inne, denn sie hatte das Paar Ringe ganz vergessen, das sie heute gekauft hatte.
Damals hatte sie nicht gewusst, dass ihr Ehemann Milliardär und Präsident eines so mächtigen Unternehmens war. Deshalb hatte sie das schlichteste Design gekauft, das sie finden konnte.
Jetzt schien es, als ob der Ring absolut unpassend für einen Mann mit solchem Status war.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf warf sie einen kurzen Blick auf den Mann auf dem Bett. Als sie sich vergewissern konnte, dass er sich auf seine Arbeit konzentrierte, steckte sie schnell ihren eigenen Ring in ihre Tasche. Dann kramte sie den Ring, der für ihn bestimmt war, heraus und steckte ihn in eine der Schubladen des Schminktisches.
Erst danach kroch sie ins Bett.
Zu ihrer großen Erleichterung war das Bett ziemlich geräumig, mit jeweils zwei Decken und Kissen. Als sie auf ihrer Seite des Bettes saß, war immer noch ein halber Meter Platz zwischen ihnen.
„Bist du fertig?“ fragte Finn, als er spürte, dass sie sich niederließ. Er sah nicht einmal von seinem Laptop auf.
„Ja.“ Sie warf einen neugierigen Blick auf seinen Bildschirm.
Sie wusste, dass seine Firma hauptsächlich mit Finanzanleihen zu tun hatte. Die roten und grünen Diagramme, die den Bildschirm dominierten, ergaben für sie überhaupt keinen Sinn, sodass sie den Versuch, es zu verstehen, aufgab.
„Wollen wir schlafen gehen?“ Der Kopf des Mannes neigte sich plötzlich leicht, so dass er sie aus den Augenwinkeln heraus ansehen konnte.
„Klar.“
In weniger als einer Minute schaltete Finn seinen Laptop aus und löschte die Nachttischlampen.
Als die Dunkelheit den Raum erfüllte, wurde Emilia nervös.
Sie hatte immer noch keine Ahnung, warum er sie hatte heiraten wollen. Daher wusste sie nicht, ob er sich sexuelle Aktivitäten mit ihr wünschte.
Sie lag weiterhin steif da, während die Minuten verstrichen. Schließlich beruhigte sich Finns Atmung und sie konnte endlich entspannen. Innerhalb von Sekunden war sie in einen tiefen Schlaf gefallen.
Am nächsten Morgen.
Emilias Wecker klingelte pünktlich und sie wachte auf. Finn war bereits weg, der Platz neben ihr leer und kalt.
Es dauerte nicht lange, bis sie ihre Morgenroutine durchgeführt hatte. Sie legte eine leichte Schicht Make-up auf und ging nach unten.
Schon auf der Treppe schlug ihr der köstliche Duft von Frühstück entgegen.
Maria wuselte in der Küche herum, als sie Emilia bemerkte. Ein warmes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie grüßte: „Frau Norten, Sie sind wach! Kommen Sie, kommen Sie, frühstücken Sie etwas!“
„Okay, danke.“
Finn saß bereits am Esstisch. Eine Hand hielt eine Zeitung hoch, während die andere seine Tasse hob, um einen Schluck zu nehmen.
Als Emilias Blick auf seine schlanken Finger fiel, weiteten sich ihre Augen vor Schock.