Kapitel 5 Albtraum oder Retter?
Aber Eric tat nichts.
„Das ist mein Zuhause! Er ist mein Ehemann! Deine Mutter ist diejenige, die ihn mir weggenommen hat!“ Kelly verlor die Kontrolle, griff nach einem Stift und einem Notizbuch und kritzelte wütend darauf los, um ihren Frust loszuwerden.
Ein fünfjähriges Kind versteht vielleicht nicht einmal die Worte, aber das spielte keine Rolle. Trotzdem stellte sich Eric schnell schützend vor seine Frau und Tochter und sah Kelly flehend an. „Kelly, Faye ist doch nur ein Kind. Lass nicht zu, dass andere sie verurteilen. Bitte...“
Er flehte sie an—ihr wenigstens vor ihrer Tochter etwas Würde zu lassen.
Kelly starrte ihn ungläubig an. Meinte er das ernst? Sollte sie tatsächlich die Rolle der Geliebten übernehmen, nur damit seine Tochter keinen Spott ertragen musste?
Wenn jemand Schuld trug, dann Regina. Sie wusste, dass Eric verheiratet war, und hat ihn trotzdem schamlos umworben.
Vielleicht war es die überwältigende Verzweiflung. Kelly schlug Eric mit aller Kraft ins Gesicht.
Regina war nicht die Einzige, die Schuld hatte.
Wenn Eric sie nie berührt hätte, wäre all das nie passiert.
„Du Hexe! Warum hast du Papa geschlagen?“ Faye riss sich von Reginas Griff los und rannte auf Kelly zu, stieß sie heftig.
Kelly war viel zu dünn... Die letzten fünf Jahre hatten ihr schwer zugesetzt.
Die Kraft eines fünfjährigen Kindes reichte aus, um sie ins Taumeln zu bringen. Sie fiel hart zu Boden, ihr Ellbogen schlug auf dem Asphalt auf, Blut sickerte aus der Wunde.
„Kelly!“ Eric stürzte vor, um ihr zu helfen, doch sie wich zurück und entzog sich seiner Berührung.
Sie sah ihn voller Bitterkeit und Wut an, ihre Augen von Schmerz erfüllt.
„Kelly!“
Kelly rappelte sich auf, klammerte sich an ihr Notizbuch und ihren Stift und rannte panisch davon.
Das war ihr Zuhause—und doch wurde sie behandelt wie eine Ausgestoßene, wie ein Störenfried, den man vertreiben musste.
„Du solltest dich schämen, dass du dich hier überhaupt blicken lässt!“
„Schäm dich. Du bist einfach widerlich!“
Ihre harten Worte hallten in ihren Ohren, während sie floh.
Ihr ganzer Körper schmerzte, innen wie außen. Es gab keinen einzigen Teil von ihr, der nicht weh tat.
Sie rannte, so schnell sie konnte, bis ihre Beine sie nicht mehr tragen wollten.
Als sie schließlich stehen blieb, atemlos und zitternd, hob sie die Hand und schlug sich selbst ins Gesicht, bis der Schmerz sie taub machte. Sie hasste sich selbst.
Warum konnte ich nichts sagen? Warum bin ich wie ein Feigling davongelaufen? Mein Zuhause, mein Ehemann—sie wurden mir genommen. Und jetzt trage ich die ganze Schuld?
...
Silverglow Bay.
Es dauerte eine Stunde zu Fuß, bis Kelly endlich ankam. Sie stand vor dem Haus, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatte, und doch fühlte es sich jetzt fremd und sogar beängstigend an.
Vielleicht hatte Eric gelogen. Vielleicht waren ihre Eltern noch hier und warteten auf sie.
„Hey, Hübsche! Es ist spät. Warum bist du noch nicht im Bett?“
Eine Stimme rief vom Straßenrand. Ein Anführer mit einer Zigarette im Mundwinkel pfiff ihr hinterher, ein paar andere lehnten lässig hinter ihm.
Silverglow Bay war einst ein lebendiges Viertel gewesen. Doch nachdem die meisten Bewohner wegen eines Abrissprojekts weggezogen waren, war es zu einem Zufluchtsort für Herumtreiber und Unruhestifter geworden.
Nach fünf Jahren Abwesenheit erkannte Kelly die Umgebung kaum wieder. Die Fremdheit machte sie nervös.
Sie umklammerte ihr Handgelenk und versuchte, an den Typen vorbeizukommen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.
„Ganz allein heute Nacht, was?“ Der Anführer, der nach Alkohol roch, schnippte seine Zigarette weg und packte sie am Arm.
Kelly war schon immer hübsch gewesen, aber es war mehr als nur ihr Aussehen.
Schon als Kind hatten ihre Eltern sie in Musik und Tanz gefördert, was nicht nur ihre Fähigkeiten, sondern auch ihre Bewegungen und ihre Ausstrahlung prägte.
Sie hatte eine stille Eleganz, eine natürliche Anmut, die sie wie einen Stern leuchten ließ, ohne es zu versuchen.
Doch Jahre voller Leid hatten dieses Leuchten gedämpft.
Im kriegsgebeutelten Oasisvale war ihre Schönheit eher ein Fluch als ein Segen gewesen.
Die Berührung des Typen jagte ihr einen Schreck ein. Ehe sie sich versah, schlug sie ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.
Das Gesicht des Mannes verzog sich vor Zorn.
„Du kleine—“ Er hob die Hand, um sie zu schlagen.
Kelly zuckte zusammen, ließ sich instinktiv zu Boden fallen und schützte ihren Kopf.
Ihr Körper reagierte von selbst, die Instinkte übernahmen, während sie sich schützend zusammenrollte.
Doch bevor der Schlag sie treffen konnte, durchbrach ein plötzlicher Schmerzensschrei die Nacht, gefolgt von einem dumpfen Aufprall, als der Typ zu Boden ging.
Eine Gestalt stand vor ihr, seine Präsenz überwältigend.
Kelly hob den Kopf, Angst schnürte ihr die Kehle zu. Das grelle Licht verbarg sein Gesicht, aber sie musste ihn nicht sehen—seine Stimme allein jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
„Verschwindet!“ Seine tiefe, gebieterische Stimme durchschnitt die Luft wie ein Messer.
Die vermummte Gestalt überragte sie, eine spürbare Bedrohung ging von ihm aus. Die Typen wollten keinen Ärger und rannten schnell davon.
„Kelly, selbst nachdem du nach Drakonia zurückgekehrt bist, lässt du dich immer noch herumschubsen. Was soll ich nur mit dir machen?“ Seine raue Stimme hatte einen frostigen Unterton, der ihr eine Gänsehaut bescherte.
Kellys Knie gaben fast nach, ihr Atem stockte. Schock und Angst lagen in ihren weit aufgerissenen Augen.
Zev? Er lebt?
Und er hat uns bis hierher verfolgt?
Zev Lockhart war nicht irgendwer—er war eine Schlüsselfigur in der Terrorgruppe, die ihr Team gefangen genommen hatte.
Für sie war er nichts anderes als ein lebendiger Albtraum.