Kapitel 9 Wer hat dir wehgetan?
Kelly kämpfte heftig und klammerte das Handtuch fest an sich. Angst und Wut blitzten in ihren Augen, während sie Zev anfunkelte.
„Was versuchst du zu verbergen? Ich habe doch schon jeden Zentimeter deines Körpers gesehen“, spottete er, ein schelmisches Grinsen auf den Lippen. Zev war schon immer ein Unruhestifter gewesen, der es genoss, sie zu schikanieren.
Seit fünf Jahren quälte er sie.
Zitternd vor Zorn hob Kelly plötzlich die Hand und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige.
Sie wusste, dass sie ohne ihn nie lebend vom Schlachtfeld zurückgekehrt wäre. Aber das löschte die Albträume nicht aus, die er hinterlassen hatte. Sie hörten nie auf, sie zu verfolgen.
„Wir waren fünf Jahre lang in Solmaris verheiratet, und das Erste, was du tust, wenn du mich siehst, ist, mich zu schlagen?“ Zevs Stimme klang verletzt.
Er war unbestreitbar attraktiv – groß und breitschultrig, fast einen Meter neunzig, mit markanten, scharf geschnittenen Zügen. Etwas Wildes, Ungezähmtes lag in ihm, eine Kraft, die aus seiner gemischten Herkunft sprach und ihn aus der Menge herausstechen ließ. Für Kelly war es schwer, in seiner Nähe zu sein.
Zev war kein Mann, der in der Masse unterging. Egal, wo er war – selbst in der Wüste – schien er seine Umgebung zu beherrschen.
Als Kelly ihn das erste Mal traf, war sie von seiner Ausstrahlung überwältigt.
Sie hatte ihn einmal gefragt: Wenn er aus Drakonia stammte, warum hatte er dann den Weg eines Kriminellen gewählt und sich mit einer Terrorgruppe eingelassen?
Seine Antwort war direkt gewesen. Er tat es aus Profit – denn am Ende lebte jeder für seine eigenen Interessen.
Zev war in den Schmuggel verwickelt, ein Verbrechen, das ihn schließlich auf die Fahndungsliste der Zollbehörde brachte. Ohne Ausweg schloss er sich Lucas an, dem Anführer einer Terrororganisation, und gewann dessen Vertrauen.
Durch sein tiefes Wissen über Militärstrategie stach Zev schnell hervor. Er lieferte Lucas taktische Pläne und wurde dessen engster Berater, der zweite Mann in der Organisation.
Kelly gebärdete scharf: „Halt den Mund!“
Zev war einer der wenigen, die ihre Gebärdensprache verstanden. Mit einem Seufzer lehnte er sich an die Wand und hob die Hände zum Schein der Kapitulation. „Ich bin gekommen, um dir ein Handy zu bringen. Hat dein angeblich liebevoller Ehemann überhaupt bemerkt, dass du keins hast? Was, wenn dir etwas passiert?“
Seine Stimme war voller Vorwürfe, jede Silbe ein gezielter Seitenhieb auf Erics Gleichgültigkeit. Er hielt sich kaum zurück, offen zu sagen, dass Eric sich überhaupt nicht um sie kümmerte.
„Ich brauche deine geheuchelte Fürsorge nicht“, gebärdete Kelly, ihre Hände zitterten leicht.
Zev packte ihr Handgelenk, bevor sie sich losreißen konnte. „Hast du überhaupt ein Gewissen? Nennst du das geheuchelt? Ohne mich wärst du bei Lucas nie lebend rausgekommen!“
Wütend versuchte Kelly, ihn erneut zu schlagen, doch er fing ihre Hand mühelos ab. Sein Griff war fest, aber vorsichtig, als könnte er ihr zartes Handgelenk mit der kleinsten Bewegung zerbrechen.
Für einen kurzen Moment lag etwas Sanftes in seinem Blick, doch es verschwand sofort wieder.
Kelly wusste, dass Zev bösartig war und es genoss, sie zu quälen. Aber so sehr er auch mit ihr spielte, er hatte sie nie wirklich zu etwas gezwungen. Es war immer nur eine Show, ein Schauspiel für Lucas.
Sie hatte ihn einmal gefragt, warum er sich überhaupt die Mühe machte, sie zu beschützen.
Mit einem verschmitzten Grinsen hatte er geantwortet: „Weil du schön bist. Ich warte auf den Tag, an dem du dich in mich verliebst und meine Frau wirst.“
Ihre Antwort kam sofort und voller Zorn: „Vergiss es. Ich bin verheiratet. Ich liebe meinen Mann.“
Damals dachte sie, mit dem Verlassen von Solmaris sei sie Zev endlich los. Dass ihr Albtraum endete, sobald sie Drakonia betrat.
Doch die Realität belehrte sie eines Besseren.
„Warum bist du hier? Hast du keine Angst, dass ich die Polizei rufe?“ gebärdete Kelly.
Zev schwieg. Stattdessen holte er einen Verbandskasten hervor, ergriff erneut ihr Handgelenk und begann, ihre Wunde mit Jod und Watte zu desinfizieren.
Sein Gesicht verdunkelte sich. Eine stille Wut brodelte unter der Oberfläche.
Nach einer langen Pause fragte er schließlich: „Wer hat dir das angetan?“
Während all der Jahre voller Krieg und Chaos hatte er nie zugelassen, dass ihr etwas zustieß. Es schmerzte ihn, sie nun in ihrer Heimat verletzt zu sehen.
„Das geht dich nichts an.“ Kelly wandte den Blick ab und versuchte, ihren Arm zu befreien. Doch in diesem Moment der Frustration und Hilflosigkeit liefen ihr die Tränen über das Gesicht, obwohl sie sich dagegen wehrte.
Zev ließ sie nicht los. Mit ungewohnter Sanftheit versorgte er weiter ihre Wunde, als wäre sie etwas Zerbrechliches, etwas Wertvolles.
Kelly weigerte sich, ihn anzusehen. Er war Teil einer Terrorgruppe, ein Krimineller.
Auch wenn er sie fünf Jahre lang beschützt hatte, änderte das nichts an dem, was er war. Sie durfte ihre Gefühle nicht über ihren Verstand stellen – nicht, wenn er ein Verräter an ihrem Land war.
„Wenn ich mich nicht um dich gekümmert hätte, wärst du längst nicht mehr am Leben“, murmelte Zev und warf das benutzte Wattestäbchen in den Müll. Er zog ein neues Handy hervor, steckte eine SIM-Karte hinein und legte es in ihre Hand. „Meine Nummer ist gespeichert. Wenn du jemals in Gefahr bist, ruf mich an. Ich bin viel verlässlicher als dein schrecklicher Ehemann, der dich längst vergessen hat.“
Scham und Wut brannten in Kelly. Sie wollte Erics Namen nicht hören – schon gar nicht aus Zevs Mund. Ohne nachzudenken, hob sie die Hand, um ihn zu schlagen. Doch er war schneller. Er packte sie und drückte sie aufs Bett.
„Anscheinend habe ich dich zu sehr verwöhnt.“ Zevs Blick wurde finster, als er ihr das Badetuch mit einer ruckartigen Bewegung wegriss, seine Präsenz überwältigend, wie ein Raubtier, das seine Beute umzingelt.
Er hatte ihr immer wieder Angst gemacht.
Tränen strömten über Kellys Gesicht, unaufhaltsam und endlos.
Diesmal war es Zev, der in Panik geriet.