Kapitel 6 Die Entführung – Ein Komplott?
Zev kann nicht am Leben sein... Das ist unmöglich!
Kelly hatte gesehen, wie er erschossen wurde, wie sein Körper in einer Blutlache zusammenbrach, als die Friedenstruppen eintrafen.
Sie hätte ihn retten können, aber sie tat es nicht.
Für sie war Zev ein Verbrecher, ein gefährliches Mitglied einer Terrorgruppe. Alles, was sie wollte, war zu entkommen. Also ließ sie ihn zurück.
Seit jenem Tag verfolgte sie der verzweifelte Blick in seinen Augen in ihren Albträumen.
„Du kannst nicht vor mir davonlaufen, Kelly.“
Zevs Stimme war leise, aber sie trug eine unterschwellige Bedrohung in sich, die ihr einen Schauer über den Rücken jagte.
Etwas in ihr zerbrach. Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, drehte sie sich um und rannte nach Hause.
Silverglow Bay war ein alter Wohnkomplex, der einst für Beamte und ihre Familien gebaut worden war. Es gab keinen Aufzug, und ihre Wohnung lag im dritten Stock.
Die Bewegungsmelder-Lichter flackerten an und aus, während Kelly zu ihrer Wohnung sprintete. In diesem Moment vergaß sie, dass ihre Eltern nicht mehr da waren.
Ihr Instinkt sagte ihr, dass das Zuhause immer noch der sicherste Ort war. Sie hämmerte gegen die Tür, ihr Mund öffnete sich, aber kein Laut kam heraus. Sie wollte nach ihren Eltern schreien, aber sie konnte nicht.
Ihre Sprachlosigkeit hatte an dem Tag begonnen, als sie mitansehen musste, wie ein Kollege direkt vor ihren Augen erschossen wurde. Die gnadenlosen Terroristen hatten ihn hingerichtet, weil er versucht hatte zu fliehen.
Schritte hallten auf der Treppe wider. Kellys Atem stockte, als die Angst sie packte, doch noch immer kamen keine Worte über ihre Lippen.
Papa, Mama ... rettet mich!
Kelly schrie in ihrem Inneren, schlug verzweifelt mit den Fäusten gegen die Tür. Niemand antwortete.
Ihr Blick fiel auf die verkohlten Spuren am Türrahmen. Die Realität traf sie wie eine Welle—Eric hatte nicht gelogen. Ihre Eltern waren fort.
„Na los, Kelly. Ruf um Hilfe. Mal sehen, ob jemand kommt, um dich zu retten“, höhnte Zev, während er näher kam, bis sie keinen Ausweg mehr hatte.
Die Angst verschlang sie völlig. Alles, was sie wollte, war zu entkommen.
„Wenn du Angst hast, dann sag doch einfach etwas ... irgendetwas“, drängte er, seine Stimme leise und eindringlich. Er hoffte, sie würde sprechen.
Doch statt zu antworten, rannte Kelly zum Fenster im Flur. Sie würde lieber sterben, als in seine Hände zu fallen.
Gerade als sie es erreichte, zog Zev sie zurück und schlang die Arme fest um sie.
Seine Stimme klang plötzlich nervös: „Verdammt ... Kelly! Es tut mir leid! Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich wollte nur deine Stimme hören ...“
Er zog die Kapuze zurück, versuchte hastig, sich zu erklären.
Doch Kelly zitterte heftig, hörte seine Worte nicht mehr. Ihr einziger Gedanke war, dass sie ihrem Leben ein Ende setzen musste.
Zevs Stimme wurde dringlich: „Kelly! Lucas hat dein Ärzteteam nicht zufällig entführt—es war geplant!“
Kelly erstarrte. Ihr von Angst vernebelter Verstand begann langsam, die Puzzleteile zusammenzusetzen. Sie drehte sich zu Zev um, völlig schockiert.
Was meint er damit?
„Lucas’ Gruppe hatte mit einem massiven Ausbruch eines Lungenvirus zu kämpfen. Dein Team ist auf dieses Gebiet spezialisiert. Jemand aus deinem Krankenhaus hat ihm Informationen zugespielt—“ fuhr Zev fort. Doch bevor er ausreden konnte, wurde er unterbrochen.
„Kelly? Bist du hier?“ Erics besorgte Stimme hallte von unten nach oben.
Er hatte richtig geraten, dass sie hierher kommen würde.
Zevs Miene verdunkelte sich. „Kelly, vertrau niemandem aus deinem Krankenhaus.“ Dann sprang er ohne ein weiteres Wort aus dem Flurfenster.
Kelly stockte der Atem. Das war der dritte Stock. Er musste verrückt sein.
„Kelly!“ Eric erreichte sie, außer Atem, und schloss sie sofort fest in die Arme. „Es tut mir leid. Komm, wir gehen nach Hause.“
Doch Kelly rührte sich nicht. Sie stand wie erstarrt da, schüttelte leicht den Kopf.
Dieser Ort war nicht mehr ihr Zuhause.
Als Eric ihr tränenüberströmtes Gesicht sah, durchzuckte ihn Schmerz und er schlug sich selbst heftig ins Gesicht. „Das ist alles meine Schuld. Kelly, schlag mich, wenn du willst.“
Er schlug sich immer wieder.
Wenn sie ihn nicht aufhielt, würde er wohl nicht damit aufhören.
Sie hielt ihn nicht auf. Doch sie konnte es nicht länger zurückhalten—ihr Schluchzen brach aus ihr heraus, roh und verzweifelt.
„Kelly ...“ Eric nahm ihr Gesicht in die Hände, überrascht.
Dass sie überhaupt einen Laut von sich gab, selbst wenn es nur Weinen war, war ein gutes Zeichen.
Als Neurochirurg hatte Eric nach Kellys plötzlichem Sprachverlust Spezialisten konsultiert. Ihr Schweigen war nicht nur ein seelisches Trauma—es war eine reaktive Aphasie.
„Kelly, es tut mir leid“, murmelte Eric und zog sie noch fester an sich. „Du bist so plötzlich zurückgekommen—ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Gib mir bitte etwas Zeit, ja? Ich kümmere mich um alles. Ich lasse nicht zu, dass dir noch einmal etwas passiert.“ Seine Stimme zitterte vor Gefühl. „Du bedeutest mir so viel.“
Kellys Schluchzen wurde immer heftiger. Ihre Brust schmerzte, und die Welt um sie herum verschwamm, als könnte sie kaum noch atmen.
Eric behauptete, sie bedeute ihm so viel, aber statt Freude empfand sie nur Bitterkeit.
„Komm mit mir nach Hause, Kelly. Wir müssen reden“, sagte er mit belegter Stimme.
Vielleicht war er ehrlich. Aber Kelly wollte es nicht mehr hören.
Zevs Warnung hallte in ihrem Kopf wider: „Vertrau niemandem aus deinem Krankenhaus.“
Ihr Team war entführt worden. Sie hatte fünf lange Jahre gelitten. Ihre Eltern waren tot, ihre Gerechtigkeit blieb aus. Alles, was ihr einst wichtig war, war verloren.
Und jetzt verstand sie endlich—der Albtraum, den sie durchlebt hatte, war kein Zufall gewesen. Es war von Anfang an geplant!