Kapitel 8 Zeichen des Verrats
Schuld nagte an Eric. Er vermied Kellys Blick und hielt ihre Hand fest umklammert. „Kelly, ich weiß, das klingt vielleicht unverständlich für dich, aber ich muss dich beschützen. Reginas Vater ist der Direktor des Krankenhauses. In deiner Lage können wir es uns nicht leisten, es uns mit ihnen zu verscherzen, wenn du dort bleiben willst.“
Kelly sah ihn kurz an, bevor sie ihre Hand abrupt zurückzog.
„Ich weiß, es fällt dir schwer, das zu akzeptieren“, fuhr Eric fort. „Aber jetzt, wo du zurück bist, müssen wir nach vorne schauen. Ich verspreche dir: Sobald ich die Macht habe, mich ihnen entgegenzustellen, werde ich alles wieder in Ordnung bringen. Ich lasse nicht zu, dass du für immer in dieser Position bleibst – ohne Namen, ohne Status.“
Sie schwieg, ihr Gesichtsausdruck blieb undurchschaubar. Eric deutete ihr Schweigen als Zustimmung und zog sie fest in seine Arme. „Ich wusste, dass du mich verstehst. In dieser Welt können wir nicht immer wählen. Ohne Beziehungen und Einfluss können wir nichts beschützen.“
Kelly saß reglos da, während eine eisige Kälte sie durchströmte. Es war, als hätte ein Fremder Erics Platz eingenommen. In nur fünf Jahren hatte er sich so sehr verändert, dass es ihr Angst machte.
„Ruh dich aus. Drakonia ist sicher – du bist hier in Sicherheit“, versicherte Eric ihr leise und beugte sich vor, um sie zu küssen.
Instinktiv drehte sie den Kopf weg.
Eric zögerte einen Moment, bevor er sich zurückzog, zu beschäftigt, um noch mehr zu erklären. Dann verließ er das Zimmer.
Er war zu sehr damit beschäftigt, es allen recht zu machen.
Ein beunruhigendes Schweigen legte sich über den Raum.
Fünf Jahre lang hatte Kelly in Oasisvale nie Frieden gekannt. Schüsse, Schreie und Weinen waren ihr nächtliches Wiegenlied geworden. Die Luft war stets schwer von Verzweiflung und dem metallischen Geruch von Blut.
Sie hatte zu viel Tod und Grausamkeit gesehen. Der Krieg hatte alles in düstere Farben getaucht.
Jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, kehrten diese Erinnerungen zurück.
„Sie sieht gut aus. Bring sie zum Boss.“
An dem Tag, als sie verschleppt wurde, zerrten bewaffnete Männer sie in ein Zelt.
Gerade als alle Hoffnung aus ihr gewichen war, stürmte ein Kollege von ihr herein, trotzte der Gefahr und schlug den Mann nieder, der sie festhielt.
Obwohl beide wussten, dass eine Flucht fast unmöglich war, packte er dennoch ihre Hand und rannte los.
„Kelly, wir müssen hier lebend raus! Eric wartet auf dich!
„Lauf, Kelly!“
Ein Schuss hallte. Die Kugel streifte Kellys Ohr und durchbohrte dann die Stirn ihres Kollegen.
Die qualvollen Schreie ihrer Teammitglieder und das Wehklagen ihres Mentors hatten sich für immer in ihr Gedächtnis gebrannt.
Diesen Moment würde sie nie vergessen. Von diesem Tag an hatte sie ihre Stimme verloren.
„Michael ...“
Das war der Kollege, der sie gerettet hatte – Michael Reed.
Er hatte nie die Gelegenheit, Kelly zu gestehen, dass auch er sie geliebt hatte.
„Kelly, hast du jemals daran gedacht, dass Eric vielleicht nicht der ist, für den du ihn hältst?“, fragte Michael, während sie ihrem Ziel entgegenfuhren.
Damals war Kelly bis über beide Ohren in Eric verliebt. Ohne zu zögern antwortete sie: „Niemand ist perfekt, aber ich kann alles an ihm akzeptieren.“
Für einen Moment verdunkelte sich Michaels Miene, dann fuhr er fort: „Aber wenn er dich je verraten würde, könntest du ihm verzeihen?“
Kelly runzelte die Stirn, verwirrt über seine Worte. „Was willst du damit sagen?“
„Ich wollte es eigentlich nicht ansprechen, aber ich will nicht, dass du im Dunkeln tappst. In der Nacht, als wir dem Team beitraten, ist Eric nicht nach Hause gegangen, weil er—“
Bevor Michael ausreden konnte, schleuderte eine plötzliche Erschütterung ihr Fahrzeug durch die Wüste.
Schüsse und Explosionen erfüllten die Luft, der Lärm ließ ihre Ohren dröhnen.
Als sie wieder zu sich kamen, war ihr medizinisches Team bereits in Lucas’ Hände gefallen.
...
Unter dem warmen Wasserstrahl der Dusche schrubbte Kelly ihre Haut, als könnte sie so die Vergangenheit abwaschen.
Sie umklammerte sich selbst, kauerte sich zusammen und versuchte, die Erinnerungen auszublenden.
Stille Tränen vermischten sich mit dem Wasser, doch der Schmerz in ihrem Inneren wollte nicht weichen.
Egal, wie sehr sie sich bemühte zu vergessen, die Vergangenheit haftete an ihr wie ein Schatten.
Plötzlich ergaben Michaels unvollendete Worte Sinn. Er hatte sie wohl vor Eric und Regina warnen wollen.
Die Zeit stimmte überein – Reginas Kind war bereits fünf Jahre alt. Das bedeutete, dass sie und Eric schon lange zusammen waren, bevor Kelly Seaville verlassen hatte.
Damals hatten sie vermutlich gerade geheiratet.
Es war kaum zu glauben, dass derselbe Mann, der einst quer durch die Stadt geeilt war, um ihr rechtzeitig einen Antrag zu machen, sie schon so früh hintergangen hatte.
Der Schmerz war unerträglich, als würde ihr Herz in Stücke gerissen.
Es war schlimmer als jede körperliche Wunde, eine Qual, die tief in ihre Seele schnitt. Sie schlug mit der Stirn gegen die Wand, überwältigt von Reue, und wünschte sich, sie hätte nicht überlebt.
Da durchbrach ein leises Geräusch die Stille.
Ihre Trauer wich augenblicklich einer Welle der Angst. Sie drehte das Wasser ab, wickelte sich hastig ein Handtuch um den Körper, ihre Hände zitterten, während sie sich vorsichtig der Tür näherte.
Sie lugte hinaus, doch da war nur Leere. Mit einem zitternden Atemzug entspannte sie sich endlich.
„Du schließt nicht mal deine Tür ab? Das ist ziemlich furchtlos von dir, Kelly.“
Die unheimlich vertraute Stimme kam von hinten.
Kelly erstarrte. Sie wirbelte herum, ihre Beine gaben fast unter ihr nach vor Schreck.
Zev runzelte die Stirn, als er sie auffing und fest in seine Arme zog.